
falsche Scham
Viele Menschen die an einer Krankheit leiden möchten vermeiden es nach außen zu zeigen. Sie nehmen lieber in Kauf zusätzliche Schmerzen oder Anstrengungen zu erleiden.
Ich habe mir von Anfang an gesagt, es ist nicht schlimm krank zu sein und bei Bedarf andere um Hilfe zu bitten. Ich habe ja schon erwähnt, dass ich sehr oft unter Krämpfen leide und dann einfach nichts mehr selbst machen kann bis sich der Krampf löst. Da ich mittlerweile viele Bewegungen kenne die Krämpfe auslösen, versuche ich diese Bewegung so gut wie es geht zu vermeiden, das bedeutet aber, dass ich dann oft Hilfe benötige.
Ein paar Beispiele und wie ich mich verhalte wenn jemand mein Anliegen nicht gleich versteht.
Ich war zu einer 6-wöchigen Belastungserprobung in Bad Godesberg. Dort habe ich direkt bei der Aufnahme und dem Erstgespräch mit der zuständigen Stationsärztin gesagt, dass ich beim Anziehen und Ausziehen Hilfe brauche und auch evtl. beim Duschen, Essen holen und sonstigen Tätigkeiten. So habe ich mir täglich helfen lassen beim Strümpfe anziehen, Schuhe anziehen und Schuhe binden, Hosen anziehen, wenn ich starke Schmerzen hatte auch beim Wechseln der T-Shirts.
Ich habe abends bevor die Nachtschwester kam immer alles soweit erledigt, dass ich wusste wobei ich noch Hilfe brauche und dann nicht extra rufen musste , da sie ja sowieso ihren Rundgang machte und dabei auch die Medikamente für den nächsten Tag mitbrachte. Jetzt kam an einem Abend eine Nachtschwester, die noch nie da war und ich bat sie, mir meine Strümpfe noch auszuziehen. Sie sagte zu mir ob ich das nicht selbst machen könnte? Ich habe dann zu ihr gesagt, wenn ich es selber könnte dann würde ich sie ja nicht fragen. Sie war dann etwas mürrig und meinte wenn ich das überall machen müsste dann wäre die Nacht rum. Ich habe dann zu ihr gesagt, ich finde es toll, dass es Menschen gibt, die ihren Beruf anderen Menschen zu helfen mit Leidenschaft machen. Ich finde es toll wie ihre anderen Kolleginnen und Kollegen mit der gleichen Leidenschaft wie sie, jeden Abend gut gelaunt in mein Zimmer kommen, mich fragen ob ich noch etwas brauche und ohne zu fragen meine Strümpfe ausziehen und mir die Decke hochlegen, damit ich sie ohne Probleme greifen kann. Ich habe den größten Respekt vor solchen Menschen und bin ihnen sehr dankbar. Sie hat mir daraufhin die Strümpfe ausgezogen, hat mich gefragt wo sie die Stümpfe hinlegen soll, hat mir die Decke bis zur Hüfte hingelegt und wünschte mir eine gute Nacht, ich solle doch klingeln wenn noch irgendetwas wäre.
Sie kam dann noch ein paar Nächte und kam immer gut gelaunt in mein Zimmer, ich habe mich ein bisschen nett mit ihr unterhalten, während sie mir ungefragt die Strümpfe auszog und mir die Decke reichte.
An einem anderen Tag hatte wir Thai Chi und als wir fertig waren mussten wir ja die Schuhe wieder anziehen. Meist half mir einer der Teilnehmer die in der Gruppe dabei waren, weil er wusste, dass ich da Probleme hatte. An diesem Abend bekam ich einen Krampf im Oberkörper und es war nur noch der Arzt aus der Neurourologie da, der den Kurs leitete. Er fragte mich ob er mir etwas helfen kann und bemerkte, dass etwas nicht stimmte. Ich sagte ihm dass ich einen Krampf habe und er kniete sich hin, zog mir meine Schuhe an und begleitete mich dann noch bis zum Essensraum. Dort habe ich der netten Dame hinter dem Tresen gesagt, dass ich immer noch einen Krampf habe und ob sie mir mein Tablett mit dem Essen zum Tisch bringen kann. Sie kam ohne zu zögern hinter dem Tresen raus, fragte mich wo ich mich hinsetzen möchte und begleitete mich zum Tisch.
Ich scheue mich grundsätzlich nie andere Menschen um Hilfe zu bitten, egal welchen Titel sie tragen. Es sind Menschen und wenn sie um Hilfe gebeten werden, dann sind sie auch meistens bereit Hilfe zu leisten. Sollte jemand erst mal ablehnend reagieren, dann argumentiere ich wie bei der netten Nachtschwester. Das ist ganz einfach wenn man immer den Grundsatz befolgt, lobe das was Du sehen möchtest und es wird so sein.
Wenn jemand nein sagt, oder komisch reagiert einfach so reagieren:
Stellen Sie sich bitte vor sie wären in meiner Lage, sie hätten Parkinson und Fibromyalgie und würden unter extremen Schmerzen leiden. Sie bitten jemanden um Hilfe und der sagt nein ich will ihnen nicht helfen, wie würden sie sich dabei fühlen? Für mich ist das eine unglaubliche Herausforderung sie um diese Kleinigkeit zu bitten und für Sie ist das ein Handgriff und sie hätten in ein paar Sekunden etwas total Gutes getan. Es würde sie mit Stolz erfüllen einem Menschen damit sehr glücklich gemacht zu haben.
Ist jemand nach diesen Worten noch in der Lage seine Hilfe abzulehnen? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Menschen oft nicht helfen wollen, weil sie die Erfordernis dazu nicht erkennen. Ich habe aber auch die Erfahrung gemacht, wenn man ihnen kurz nett erklärt warum man Hilfe braucht und welche positiven Gefühle es bei Ihnen auslöst wenn sie helfen, dann tun sie es auch.
Also ich kann nur sagen, steht zu Euch und Eurer Krankheit und habt keine falsche Scham.
ja, Hartmut Du hast recht, zu der Krankheit zu stehen hilft ungemein. Und noch etwas, anderen zu helfen hilft einem selber und macht zufrieden.